Gutachten für den Goldmann Verlag: Kim Wong Keltner, The Dim Sum of All Things

Handlungsort: San Francisco (USA)
Handlungszeit: Gegenwart
Genre: Unterhaltungsroman für Frauen

Inhalt

Lindsey Owyang, Mitte 20, ist noch immer Single. In den Augen ihrer chinesischen Großmutter Pau Pau offenbar ein untragbarer Zustand. Deshalb arrangiert die eigenwillige alte Dame Blind Dates für ihre Enkelin: Pau Paus Mah-Jong-Spiel-Partnerinnen aus San Franciscos Chinatown haben zahlreiche Enkeln und Neffen. Doch Lindsey, die sich für eine eingefleischte Amerikanerin hält, zeigt wesentlich mehr Interesse an ihrem Arbeitskollegen Michael. Allerdings ahnt der noch nichts von seinem Glück, da Lindsey noch Zweifel hat: Wie würde ihre Familie auf den "white devil" Michael reagieren?

Zudem lebt Lindsey bei ihrer Großmutter, was Männerbesuche bisher verhindert hat. Ein unverbindliches näheres Kennenlernen scheint zumindest schwierig zu werden. Ihre Bedenken gelten dabei nicht nur Pau Paus entsetzten kantonesischen Schreien beim Anblick eines nackten Amerikaners im Badezimmer. Sie glaubt auch, Michaels zartes Gemüt nicht mit dem Duft von obskuren chinesischen Rheumasalben oder dem Anblick von schmorenden Hühnerklauen belasten zu können. Obwohl Pau Pau eine leidenschaftliche Köchin ist, sind ihre Zutaten so gewöhnungsbedürftig, dass selbst ihre Töchter zurückschrecken.

Trotz dieser Schwierigkeiten beschließt Lindsey, dem Flirt mit Michael eine Chance zu geben. Sie nutzt ihre Stellung als Rezeptionistin bei der Zeitschrift Vegan Warrior, um mehr über Michael herauszufinden. Die Atmosphäre im Verlag ist angespannt. Als die Mitarbeiter eines Tages zur Atemkontrolle antreten müssen, bei der heimliche Fleischesser enttarnt werden sollen, entdecken Michael und Lindsey endlich eine Gemeinsamkeit: Sie verabreden sich auf ein saftiges Steak und finden so noch mehr verbindende Interessen, wie z. B. die Liebe zu Hitchcock. Und obwohl er seinem Aussehen nach eindeutig ein "white devil" ist, hat auch Michael eine chinesische Großmutter. Allerdings ist die chinesische Kultur für ihn nur noch eine ferne Kindheitserinnerung.

Mit ihrer Freundin Mimi diskutiert Lindsey die neuesten Entwicklungen in Sachen Michael. Diverse Pannen, teils in der Gestalt von Pau Pau, haben eine leidenschaftliche Nacht bisher verhindert. Außerdem hat Lindsey einen schlimmen Verdacht: Womöglich gehört Michael zu den Leuten mit Asia-Sammeltick, über die sie im Lauf der Jahre eine ausgefeilte Theorie entwickelt hat. Deren Sammelwut beschränkt sich nicht auf Blumentöpfe in Pagodenform und Feng-Shui-Schnickschnack, sondern konzentriert sich vor allem auf devote, dunkelhaarige Asiatinnen. Diesen Typus glaubte Lindsey bisher von weitem zu erkennen. Kleidung, Haltung und Blick verraten die Sammler. Sie raunen ihr im Bus in gebrochenem Amerikanisch "Lotusblüte" ins Ohr, essen in billigen Touristenfallen, wo sie die Kellnerin anmachen, und durchstreifen nachts Chinatown. Obwohl sie eine Koreanerin nicht von einem Chinesen oder einer Indonesierin unterscheiden können, halten sie sich für wahre Kenner der panasiatischen Kultur und Lebensweise. Als Lindsey nun verdächtige Kleidungsstücke in Michaels Wohnung entdeckt, bricht sie in Panik aus. Er wird doch nicht ...?

Doch ihre heimlichen Sorgen werden erst einmal von Reisevorbereitungen verdrängt: Pau Pau will nach China fliegen. Da der Rest der Familie kein Interesse zeigt, wird Lindsey zur Begleiterin bestimmt. Die Reise in die Heimat ihrer Ahnen wird zum "Back to the roots"-Trip, bei dem sich Lindsey ihren eigenen nostalgischen Vorstellungen und der großen Kluft zwischen amerikanischem und chinesischem Lebensstil stellen muss. Auch ihr Chinabild wurde von Pagoden und Seidenkleidchen und nicht von Lehmhütten und Trainingsanzügen bestimmt. Doch die herzliche Aufnahme durch ihre entfernten Cousinen lindert den Kulturschock. Während der Reise kommt Lindsey ihrer Großmutter näher und lernt die entbehrungsreiche Geschichte ihrer Familie kennen. Pau Pau musste mit ihrem Mann und ihrem Baby, Lindseys Mutter, aus China fliehen. Unter viel Mühen bauten sie sich ein neues Leben in den USA auf und hielten dennoch an vielen Traditionen fest.

Nach ihrer Rückkehr wird Lindsey bewusst, dass ihre chinesischen Wurzeln in ihrem Alltag begründet sind und nichts mit Chinadevotionalien zu tun haben. Sie lässt die eigenen Familientraditionen wieder aufleben, indem sie ein großes Neujahrsessen kocht. Spontan lädt sie Michael ein, der zu ihrer Verwunderung sofort seinen Platz in ihrer Familie findet und sogar von ihrem kritischen Cousin akzeptiert wird. Pau Pau hat Michael schnell ins Herz geschlossen und eröffnet Lindsey, dass sie damals in China gegen den Willen der Familie geheiratet hat. Deshalb hatte sie nie vor, ihrer Enkelin im Wege zu stehen.

Beurteilung

Kim Wong Keltners ist mit The Dim Sum of All Things eine amüsante Mischung aus exotischer Familiengeschichte und vertrauter Lovestory gelungen.

Der allwissende Erzähler begleitet Lindsey in chronologischer Reihenfolge durch ihren Alltag, der von Job, Shopping, Familienfeiern und Partys bestimmt wird. Nur die China-Reise unterbricht ihr geregeltes Leben.

Der Roman ist in anekdotenhaftem Ton meist witzig und unterhaltsam geschrieben. Doch die teils langen Beschreibungen ohne Dialoge (besonders am Anfang) wirken auch ermüdend. Das Erzähltempo stimmt manchmal nicht recht, die Handlung stolpert dann etwas orientierungslos durch Chinatown.
Schön sind die Einblicke in Lindseys halb vertrauten, halb fremden Familienalltag, die Beschreibung chinesischer Feiern und Rituale. Lindsey steht für den Spagat zwischen zwei Welten, die sich am Schluss des Buches als gar nicht so unterschiedlich erweisen. Pau Pau und Lindsey wirken lebendig und einzigartig, Michael bleibt etwas blass. Die Nebenfiguren hat Keltner liebevoll charakterisiert: Skurrile Tanten mit Esoteriktouch, militante Veganerinnen, strenggläubige christliche Chinesen und White-Devil-Lovers prallen aufeinander und harmonieren doch besser als erwartet.

Die Autorin wählte die abwechslungsreichen Schauplätze gekonnt aus. Neben den Straßen von San Francisco und dem allseits bekannten Büroalltag schildert Keltner u. a. auch das Leben in Chinatown, im Mah-Jong-Club und in der chinesischen Sektion des Friedhofs. Als Kontrastprogramm dient die Atmosphäre der Chinareise.

Filmzitate und Anspielungen (Hitchcock, Kung-Fu, Star Wars) sowie Versatzstücke der 1980er-Jahre stehen für die kulturübergreifenden Gemeinsamkeiten. Appetitanregend und vergnüglich sind die zahlreichen Essens- und Kochbeschreibungen. Für sprachliche Abwechslung sorgen Pau Paus kantonesische Ausrufe und Sprichwörter sowie ihr gebrochenes Amerikanisch.